Die Verantwortung für die Jahresplanung der Elektrosicherheit im Unternehmen ist eine umfangreiche und komplexe Aufgabe, die schlaflose Nächte bereiten kann. Wer mit dem groben Überblick beginnt und Zeit und Raum für die unvermeidlichen Umstrukturierungen lässt, kommt damit meist am besten zurecht.
Die Betriebssicherheitsverordnung (BetrSichV) ist eine für Elektrofachkräfte maßgebliche Rechtsgrundlage, weil sie die Forderungen des Arbeitsschutzgesetzes konkretisiert. Die Betriebssicherheitsverordnung bildet damit die Grundlage für Sicherheit und Gesundheitsschutz der Beschäftigten bezüglich elektrischer Gefahren bei der Verwendung von Arbeitsmitteln.
Die Betriebssicherheitsverordnung macht an vielen Stellen konkrete Vorgaben, welche die Arbeitspraxis von Elektrofachkräften betreffen, insbesondere
zur Verwendung von Arbeitsmitteln
zum Durchführen von Gefährdungsbeurteilungen
zu den Prüfpflichten und
zu den Anforderungen an die Dokumentation.
Die Betriebssicherheitsverordnung
Die Betriebssicherheitsverordnung setzt seit 2002 die Vorgaben der europäischen Arbeitsmittelrichtlinie 89/655/EWG bzw. deren Nachfolger 2009/104/EG in deutsches Recht um. Bei der Novellierung in 2015 wurde die Bezeichnung Betriebssicherheitsverordnung beibehalten, der zwischenzeitlich diskutierte Vorschlag einer Umbenennung zur Arbeitsmittelsicherheitsverordnung ist damit endgültig vom Tisch. Der offizielle Langtitel wurde allerdings gekürzt und lautet nun "Verordnung über Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Verwendung von Arbeitsmitteln."
Das Inkrafttreten war ursprünglich bereits für Jahresbeginn 2015 vorgesehen gewesen. Dies hat sich jedoch aufgrund mannigfaltiger Änderungswünsche des Bundesrats verzögert. Erst am 7. Januar konnte die Bundesregierung den Maßgaben des Bundesrats zur Neufassung der Betriebssicherheitsverordnung zustimmen. Damit ist die Verordnung zum 1. Juni 2015 in Kraft getreten. Gleichzeitig wurde auch die Gefahrstoffverordnung (GefStoffV) geändert.
Zuletzt wurde die Betriebssicherheitsverordnung im März 2017 geändert.
Ziel: sichere Verwendung von Arbeitsmitteln
Die Betriebssicherheitsverordnung gilt für die Bereitstellung von Arbeitsmitteln durch den Arbeitgeber sowie deren Verwendung. Als Arbeitsmittel definiert werden Werkzeuge, Geräte, Maschinen oder Anlagen, die für die Arbeit verwendet werden, sowie überwachungsbedürftige Anlagen.
Oberstes Ziel der Vorschrift ist, die Sicherheit und den Schutz der Gesundheit der Beschäftigten bei der Verwendung von Arbeitsmitteln zu gewährleisten. Bereits in § 1 nennt die Betriebssicherheitsverordnung die drei Wege, mit denen dieses Ziel erreicht werden soll:
Geeignete Arbeitsmittel auswählen und diese sicher verwenden.
Arbeits- und Fertigungsverfahren für den vorgesehenen Verwendungszweck gestalten.
Die Beschäftigten qualifizieren und unterweisen.
Zentrales Element bei diesen Anforderungen ist und bleibt die Gefährdungsbeurteilung sowie die Pflicht zum regelmäßigen Prüfen von Anlagen und Arbeitsmitteln. Die Anforderungen an die sichere Verwendung von Arbeitsmitteln werden als Schutzziele beschrieben. Insgesamt soll die Novellierung von 2015 den Arbeitsschutz in den Betrieben verbessern und vereinfachen, u.a. durch Streichen von Doppelregelungen.
Hinweis
Lassen Sie sich nicht verwirren, wenn in einigen Publikationen und auf Internetseiten im Zusammenhang mit der Betriebssicherheitsverordnung von "Betriebsmitteln" die Rede ist. Die neue Betriebssicherheitsverordnung kennt diesen Begriff nicht und der Begriff ist an dieser Stelle auch wenig zweckdienlich. Denn in der Betriebswirtschaftslehre fallen unter Betriebsmittel auch Grundstücke, Patente oder Lizenzen, also betriebliche Aspekte, die mit der Betriebssicherheitsverordnung wenig zu tun haben.
Aufbau der BetrSichV: 5 Abschnitte + 3 Anhänge
Allgemeine, für alle Arbeitsmittel geltende Anforderungen finden Sie im Hauptteil der neuen Betriebssicherheitsverordnung. Dazu kommen Anhänge mit speziellen Anforderungen für bestimmte Arbeitsmittel. Die Verordnung ist in die folgenden 5 Abschnitte und 3 Anhänge aufgebaut:
Abschnitt 1: Anwendungsbereich und Begriffsbestimmungen
Abschnitt 2: Gefährdungsbeurteilung und Schutzmaßnahmen
Abschnitt 3: Zusätzliche Vorschriften für überwachungsbedürftige Anlagen
Abschnitt 4: Vollzugsregelungen und Ausschuss für Betriebssicherheit
Abschnitt 5: Ordnungswidrigkeiten und Straftaten, Schlussvorschriften
Anhang 1: Besondere Vorschriften für bestimmte Arbeitsmittel
Anhang 2: Prüfvorschriften für überwachungsbedürftige Anlagen
Anhang 3: Prüfvorschriften für bestimmte Arbeitsmittel
Bei genauerem Hinschauen findet man in der Betriebssicherheitsverordnung einen Hinweis, welchen man als Aufwertung der Rolle der Elektrofachkraft bzw. der von ihr üblicherweise übernommenen Aufgaben und Zuständigkeiten interpretieren kann.
Den "Schutzmaßnahmen bei Gefährdungen durch Energien, Ingangsetzen und Stillsetzen" wird ein eigener Paragraf (§ 8) gewidmet. Darin geht es u.a. um Gefährdungen durch Berühren von spannungsführenden Teilen oder durch Störungen der Energieversorgung, ureigenste Zuständigkeitsbereiche ausgebildeter Elektrofachleute. Auch das Vermeiden oder Begrenzen gefährlicher elektrostatischer Aufladung wird in diesem Abschnitt explizit genannt. Vor der Novellierung 2015 waren die elektrotechnischen Aspekte von Betriebsmitteln eher in unterschiedlichen Paragrafen verstreut zu suchen.
Prüfpflichten für besonders gefährliche Arbeitsmittel
Für viele Anwender, auch Elektrofachkräfte dürften die Anhänge der Verordnung besonders relevant sein. Denn hier konkretisiert die Betriebssicherheitsverordnung die Prüfpflichten für besonders gefährliche Betriebsmittel.
Zu diesen als "besonders gefährlich" eingestuften Betriebsmitteln zählen:
Druckanlagen
Aufzugsanlagen
mobile Arbeitsmittel
Arbeitsmittel zum Heben von Lasten
Krananlagen
Arbeitsmittel bei zeitweiligen Arbeiten auf hoch gelegenen Arbeitsplätzen
Prüfpflichten erhalten stärkeres Gewicht
Die drei Anhänge machen inhaltlich etwa zwei Drittel der gesamten Textmenge der Verordnungsversion aus. Die Bedeutung der Prüfungen von Arbeitsmitteln wird schon in § 3, Absatz 6 deutlich. Demnach gilt:
Der Arbeitgeber ist für Art, Umfang und Intervalle erforderlicher Prüfungen verantwortlich.
Er muss Prüffristen in eigener Verantwortung festlegen, sofern die Betriebssicherheitsverordnung für den konkreten Fall keine anderen Regelungen vorsieht (Anhänge!).
Prüffristen müssen vom Arbeitgeber so bemessen sein, dass ein geprüftes Arbeitsmittel bis zur nächsten festgelegten Prüfung sicher verwendet werden kann. In den Anhängen genannte Höchstfristen dürfen unter-, aber nicht überschritten werden.
Der Arbeitgeber muss ermitteln und festlegen, welche Voraussetzungen die zur Prüfung befähigten Personen erfüllen müssen.
Er kann eigene qualifizierte Mitarbeiter als Prüfer bestimmen oder externe Dienstleister mit Prüfaufgaben beauftragen.
Spätestens mit Punkt 5 kommt die Elektrofachkraft ins Spiel, die - nach Übertragung der entsprechenden Aufgaben - dann auch für die Punkte 1 bis 4 zuständig werden kann.
Tipp
Noch gilt die unter der „alten“ Betriebssicherheitsverordnung erschienene Technische Regel für Betriebssicherheit (TRBS) 1201. Diese befasst sich ausgiebig mit Prüfungen von Arbeitsmitteln und überwachungsbedürftigen Anlagen. Die Tabelle 2 „Bewährte Prüffristen für wiederkehrende Prüfungen/Überprüfungen“ in der Anlage der TRBS 1201 wurde zuletzt im August 2014 geändert und neu gefasst. Man kann daher davon ausgehen, dass die dort genannten Fristen weitgehend den aktuell vorherrschenden Einschätzungen und Rechtsauffassungen entsprechen. In Sachen Prüffristen können Sie sich daher bis auf Weiteres, zumindest bis nicht die TRBS 1201 ebenfalls neu aufgelegt wird, nach den dort genannten „bewährten Prüffristen“ richten.
Risikobeurteilung als Basis Ihrer Gefährdungsbeurteilung
Auch gut zu wissen ist, dass Sie bei Gefährdungsbeurteilungen die Erkenntnisse aus der Risikobeurteilung des Herstellers nutzen dürfen. Sie müssen dieses Verfahren nicht wiederholen, sondern können diese Risikobeurteilung als Basis Ihrer Gefährdungsbeurteilung verwenden. Sie müssen jedoch beachten, dass der Hersteller nicht sämtliche konkreten Einsatzbedingungen einer Maschine vor Ort voraussehen kann.
Prüfung von Aufzügen
Mehr als jede zweite Aufzugsanlage weist nach Meldungen von Überwachungsorganisationen Mängel auf. Mehrere Tausend Aufzüge müssen sogar jedes Jahr nach einer Prüfung sofort stillgelegt werden, weil die Mängel und Gefahren als zu groß angesehen werden, um die Sicherheit der Aufzugsbenutzer zu gewährleisten. Vor dem Hintergrund ist es erschreckend, dass weit mehr als 100.000 Aufzugsanlagen in Deutschland nach Schätzungen von Fachleuten überhaupt nicht geprüft werden.
Diesen Missständen will die neue Betriebssicherheitsverordnung abhelfen, u.a. durch folgende Vorgaben:
Plakettenpflicht: Jeder Aufzug muss - ähnlich wie die TÜV-Plakette bei Autos - eine Prüfplakette tragen, an welcher der letzte Prüftermin und der Zeitpunkt der nächsten Hauptprüfung ablesbar sind.
Notfallplan: In jedem Aufzug muss ein Notfallplan aushängen, mit Angaben zur Rettung eingeschlossener Personen und Kontaktdaten der Personen, die in der Lage sind, eingeschlossene Aufzugsbenutzer zu befreien und Erste Hilfe zu leisten.
Gegensprechanlage: Bis Ende 2020 muss jeder Aufzug mit einem Zwei-Wege-Kommunikationssystem nachgerüstet worden sein. Der aus der Aufzugskabine heraus erreichbare Notdienst muss rund um die Uhr erreichbar sen. Die derzeit noch vielfach vorhandenen Klingeln (ohne Möglichkeit eines Kontakts in beide Richtungen) sind nicht mehr zulässig.
Mess-, Steuer- und Regeleinrichtungen
Gemäß § 8, Absatz 2 müssen alle für eine sichere Verwendung eines Arbeitsmittels erforderlichen Mess-, Steuer- und Regeleinrichtungen grundsätzlich vorhanden sein. Denn nur ein mit diesen Einrichtungen ausgestattetes Arbeitsmittel kann sicher und zuverlässig eingesetzt werden.
Der nächste Absatz 3 ist interessant, denn er nennt die Anforderungen an diese Mess-, Steuer- und Regeleinrichtungen. Diese müssen
als solche deutlich erkennbar sein.
außerhalb des Gefahrenbereichs angeordnet sein.
leicht und ohne Gefährdung erreichbar sein, das heißt so, dass ihre Betätigung nicht mit neuen Gefährdungen verbunden ist.
sicher beschaffen sein.
auf vorhersehbare Störungen und Beanspruchungen ausgelegt sein.
gegen unbeabsichtigtes oder unbefugtes Betätigen gesichert sein.
Erleichterungen: Nutzen Sie die "vereinfachte Vorgehensweise"
In § 7 wird ein Weg aufgezeigt, der sich vor allem für viele kleine und mittlere Unternehmen als Erleichterung erweisen dürfte. Unter bestimmten Voraussetzungen ist eine sogenannte "vereinfachte Vorgehensweise" bei der Verwendung von Arbeitsmitteln zulässig. Unter den folgenden fünf Voraussetzungen können Sie diese Vereinfachung in Anspruch nehmen:
Die Gefährdungsbeurteilung ist ordnungsgemäß durchgeführt.
Das Arbeitsmittel entspricht dem Stand der Technik.
Das Arbeitsmittel wird bestimmungsgemäß gemäß den Angaben des Herstellers (Betriebsanleitung!) verwendet.
Es bestehen keine zusätzlichen Gefährdungen.
Instandhaltungsmaßnahmen und Prüfungen werden wie vorgesehen durchgeführt.
Treffen diese Kriterien zu, dürfen Sie auf weitere Maßnahmen nach §§ 8 und 9 verzichten. Dies kann typischerweise nicht nur auf einfache Werkzeuge wie Zange oder Schraubenzieher zutreffen, sondern auch auf ortsveränderliche elektrische Betriebsmittel wie Winkelschleifer, Elektrotacker oder Akkuschrauber.
Die Punkte 1, 3, 4 und 5 haben Sie zu prüfen. In Punkt 2 geht es darum, dass das Arbeitsmittel zum Zeitpunkt seiner Verwendung den sicherheitstechnischen Anforderungen der zutreffenden Rechtsvorschriften, entspricht, die beim Bereitstellen auf dem Markt gültig waren. Ist ein Gerät viele Jahre alt und sind die sicherheitstechnischen Anforderungen bei heutigem (!) Inverkehrbringen inzwischen ganz anders, müssen Sie prüfen, inwiefern Sie dieses Gerät - z.B. durch Nachrüstung - auf den Stand der Technik bringen können.
Achtung
Sie dürfen diese vereinfachte Vorgehensweise nicht in Anspruch nehmen, wenn der Hersteller eines Arbeitsmittels in seiner Risikobeurteilung Restrisiken ermittelt hat, die er nicht durch sicherheitstechnische Schutzvorkehrungen minimieren kann. Solche Restrisiken muss der Hersteller jedoch in der technischen Dokumentation (Betriebsanleitung!) nennen.
Außerdem gilt: Bei allen überwachungsbedürftigen Anlagen sowie bei Kranen, Flüssiggasanlagen und maschinentechnischen Arbeitsmitteln ist dieses vereinfachte Verfahren nicht zulässig.
Prüfungen im Explosionsschutz
Die Regelungen zu Prüfungen im Explosionsschutz wurden mit Änderung der BetrSichV 2015 neu gestaltet. Die materiellen Anforderungen zum Brand- und Explosionsschutz wurden aus der Betriebssicherheitsverordnung herausgenommen und in die Gefahrstoffverordnung überführt. Dies bietet für Unternehmen den Vorteil, dass sämtliche von Gefahrstoffen ausgehenden Gefährdungen in der Gefährdungsbeurteilung nun einheitlich gemäß der Gefahrstoffverordnung betrachtet werden.
Der Explosionsschutz soll damit insgesamt verbessert werden. Das Explosionsschutzdokument wird nun zum Bestandteil der Dokumentation der Gefährdungsbeurteilung nach der Gefahrstoffverordnung.
Weitere wichtige Aspekte der BetrSichV
Sie müssen Gefährdungsbeurteilungen für überwachungsbedürftige Anlagen auch dann durchführen, wenn ausschließlich Dritte gefährdet sind.
Einige weitere Punkte der neuen Betriebssicherheitsverordnung sind gut zu wissen, aber ohne spezielle Relevanz für Elektrofachkräfte. Dazu gehören z.B. besondere Vorgaben zur alters- und alternsgerechten Gestaltung oder das stärkere Berücksichtigen ergonomischer und psychischer Belastungen.
Darum profitieren Sie von der Betriebssicherheitsverordnung
Wenn Sie sich an die Vorgaben der Betriebssicherheitsverordnung halten, z.B. bei Ihren Prüfungen von elektrischen Arbeits- bzw. Betriebsmitteln,
reduzieren Sie Arbeitsunfälle und Verletzungen.
beugen Sie Störungen und dem Ausfall von Maschinen und Anlagen vor.
sorgen Sie für ein hohes Maß an Rechtssicherheit.
haben Sie für alle Fälle eine gerichtsfeste Dokumentation hinter sich.
Ein abschließender Hinweis
Nehmen Sie die Anforderungen der Betriebssicherheitsverordnung ernst. Wer die Prüf- und Sorgfaltspflichten der Vorschrift missachtet, kann strafrechtlich verfolgt werden, denn Verstöße gelten als Ordnungswidrigkeiten.
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