Industrie 4.0 – Digitalisierung und Vernetzung
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Die vierte industrielle Revolution ist längst da
Digitalisierung und Vernetzung sowie das Verschmelzen der realen Welt mit virtuellen Umgebungen in cyberphysischen Systemen (CPS) sind die zentralen Treiber der Arbeitswelt 4.0. Als bedeutendste Technologiefelder für Industrie 4.0 gelten künstliche Intelligenz (KI), das Internet of Things (IoT), Cloud-Anwendungen und Big Data Analytics. Längst wertet KI Wetterdaten und Röntgenbilder aus, immer mehr Kleingeräte oder Gebäudefunktionen kommunizieren miteinander oder gehen online und immer riesigere Datenberge wandern vom Arbeitsplatzrechner in die Cloud.
Auch andere der dem 4.0-Umfeld zugeordneten Technologien setzen sich mehr und mehr im beruflichen wie privaten Alltag durch:
- Roboter arbeiten als Cobots immer enger mit dem Kollegen Mensch zusammen.
- Maschinen kommunizieren untereinander (Machine to Machine Communication M2M) und in der smarten Fabrik steuern sich ganze Produktionsanlagen immer eigenständiger.
- Digital Twins (digitale Zwillinge) von Maschinen und Anlagen ermöglichen beliebige Simulationen und ein schnelles Optimieren von Prozessen.
- Auf den Straßen wächst die Zahl der Elektromobile, demnächst sollen autonome Fahrzeuge hinzukommen.
- Smarte Eigenheime sollen unser Leben nicht nur bequemer und sicherer machen, sondern über „Smart Metering“ auch Verbräuche bedarfsgerechter steuern und Kosten senken.
- Smarte Produkte und Anwendungen wie Datenbrillen, Datenhandschuhe, Exoskelette oder intelligente Textilien für Workwear und Schutzausrüstung (PSA) sollen das Arbeiten effizienter und sicherer machen. Speziell für Elektroberufe wurde z.B. ein smartes T-Shirt entwickelt, welches eigenständig Elektrounfälle und Stürze erkennt und im Notfall Hilfe ruft.
- Additive Fertigung (3-D-Druck) ermöglicht eine hochflexible Fertigung bis zur Losgröße 1 und ein schnelles Reagieren auf individuelle Kundenwünsche. Die Breite der Drucktechnologien und Materialien wird immer größer, die Geräte werden leistungsfähiger und mehr und mehr zur Konkurrenz für klassische Fertigungsverfahren.
Industrie 4.0 – Was ist das?
Der Begriff Industrie 4.0 wurde auf der Hannover Messe 2011 bekannt. Die Ziffer 4 steht für die vierte Stufe der industriellen Revolution gemäß dem folgenden Modell:
Industrie 1.0: mechanische Produktionsanlagen, angetrieben durch Wasserkraft und Dampfmaschinen
Industrie 2.0: arbeitsteilige Massenproduktion; Fließbandarbeit mit Elektrizität als Antriebskraft
Industrie 3.0: Automatisierung durch Mikroelektronik; Großrechner und erste PCs
Industrie 4.0: Digitalisierung und Vernetzung der industriellen Produktion auf allen Ebenen; virtuelle Arbeitsumgebungen, unterstützt durch KI
Wie verändert sich das Arbeitsleben durch Industrie 4.0?
Neben den mannigfachen technologischen Entwicklungen bringt die Arbeitswelt 4.0 auch neue Beschäftigungsmodelle und Arbeitsformen mit sich. Ansätze wie Cloud-Working, Crowd-Working, Desk-Sharing oder Coworking Spaces nutzen konsequent die modernen Kommunikationsmöglichkeiten, um ein orts- und zeitflexibleres Arbeiten zu ermöglichen. Viele Geschäftsreisen werden überflüssig, wenn interne und externe Mitarbeiter von jedem Ort der Welt aus flexibel in Teams oder projektbezogen über Onlinetools zusammenarbeiten. Das frühere Normalarbeitsverhältnis (sieben bis acht Stunden an fünf Wochentagen) verliert in vielen Branchen an Bedeutung.
Ein viel diskutierter Nebeneffekt dieser Entwicklung ist, dass die Grenzen zwischen Beruf und Privatleben verschwimmen, weil jeder jederzeit und überall, d.h. auch am Wochenende oder im Urlaubsdomizil, erreichbar ist. Auch wenn sich der coronabedingte Schub zum Homeoffice je nach Branche wieder ein Stück weit umkehren dürfte, werden die neuen Kommunikationstechnologien weiterhin nachhaltig unser Zusammenarbeiten beeinflussen. Je nach Beruf und Tätigkeit könnten sich die Vorstellungen von einem ortsfesten Arbeitsplatz mit fixen Anwesenheitszeiten mehr und mehr auflösen.
Industrie 4.0: Vorteile und Chancen
Eine höhere Produktivität, effizientere Prozesse, Kostenersparnis und Nachhaltigkeit gelten als die großen Vorteile von 4.0-Anwendungen.
Betrieben, die sich 4.0 verweigern oder die zögerlich auf die Veränderungen reagieren, wird eine mangelnde Wettbewerbsfähigkeit prophezeit. Dazu kommen neue und innovative Geschäftsmodelle und Dienstleistungen, z.B. für Start-ups, die sich auf den Umgang mit großen Datenmengen verstehen.
Oft können 4.0-Anwendungen auch zu mehr Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz beitragen, z.B. wenn
- Roboter monotone Tätigkeiten, körperlich schwere Arbeiten oder Arbeiten in Zwangshaltungen übernehmen,
- intelligente Assistenzsysteme das Integrieren von Beschäftigten mit Einschränkungen erleichtern oder es älteren Mitarbeitern ermöglichen, länger in ihrem Beruf zu bleiben,
- Drohnen Industrieanlagen, Schornsteine, Kraftwerke oder Windräder überwachen, ohne dass Gerüste aufgebaut oder Industriekletterer beauftragt werden müssen,
- Exoskelette bei körperlich belastenden Hebe- und Halteaufgaben unterstützen,
- RFID-Tags ein automatisches Identifizieren von Gegenständen, Werkzeugen und anderen Betriebsmitteln ermöglichen und so das Inventarisieren und Erfüllen von Prüfpflichten, etwa bei elektrischen Betriebsmitteln, erleichtern,
- smarte Gebäude die Flüsse von Strom, Gas, Wasser, Wärme, Druckluft usw. überwachen, eigenständig auf Gefahren oder Preisschwankungen reagieren und sich per Smartphone steuern lassen,
- intelligente Geräte und Ausrüstungen (Smart Watches, Smart Glasses, Smart Gloves usw.) permanent Vitalparameter ihres Trägers oder Risiken der Arbeitsumgebung checken und berührungslose Personenschutzsysteme mit raffinierter Sensorik allein arbeitende Mitarbeiter überwachen,
- Datenbrillen (Head-Mounted Displays) es ermöglichen, Personen in virtuellen oder gemischten Realitäten gezielt mit den notwendigen Informationen, wie etwa Reparaturhinweisen, zu versorgen,
- neue Arbeitsformen es erleichtern, die optimale individuelle Work-Life-Balance zu finden.
Wie notwendig, aber auch wie komplex bei einem so breiten Anwendungsspektrum das Entwickeln von Normen und Standards für eine Industrie-4.0-konforme Kommunikation zwischen Hard- und Softwarekomponenten ist, zeigt die von DIN und DKE vorgelegte Deutsche Normungsroadmap Industrie 4.0.
Industrie 4.0: Risiken, Ängste und Bedenken
Wie jede neue Technologie können auch 4.0-Anwendungen neue Risiken und Gefahren mit sich bringen:
- Durch Digitalisierung und Vernetzung werden zuvor autonome Systeme angreifbar. Viren und Trojaner, Hacker und Ransomware, Datenklau und aus der Ferne manipulierbare Maschinensteuerungen oder Gebäudefunktionen – das Spektrum der virtuellen Bedrohungen wird immer vielfältiger. Sorgsame Strategien der Cybersecurity werden für Betriebe und Unternehmen immer überlebenswichtiger.
- Neue Technologien und Anwendungen erfordern neue Schutzprinzipien, z.B. bei der engen Mensch-Roboter-Kollaboration (MRK). Mögliche Gesundheitsfolgen, etwa durch das Tragen von Exoskeletten oder das Nutzen von Datenbrillen, müssen sorgfältig beobachtet werden.
- Das mit den meisten 4.0-Anwendungen verbundene permanente Sammeln von Daten aus dem beruflichen wie privaten Umfeld kollidiert mit dem Bedürfnis nach Privatsphäre und der Hoheit über persönliche Daten. Konzepte und Strategien zu einem Datenschutz werden immer wichtiger.
- Das Arbeiten wird mobiler und schneller, aber auch kontrollierbarer. Die neuen Arbeitsformen und die jederzeitige Erreichbarkeit können unerwünschte Nebenwirkungen mit sich bringen wie Arbeitsverdichtung, „Digitalstress“ und psychische Fehlbelastungen.
Wo Industrie 4.0 Arbeitsplätze kosten wird
In der 4.0-Arbeitswelt verändern sich nicht nur viele Berufe und Branchen, in einigen Berufsfeldern könnten Arbeitsplätze ganz verloren gehen. Beispielsweise werden für autonome Lkws oder Busse keine Berufskraftfahrer mehr benötigt. Ungelernte und Hilfsarbeiter für einfache Arbeiten, etwa am Fließband, könnten durch Roboter ersetzt werden, die ohne Pause, Urlaub oder Streik ihre Aufgabe erfüllen. Auch Verkäuferin und Sekretärin gelten als Auslaufmodelle, da viele ihrer Tätigkeiten durch automatisierte Systeme, etwa bargeldlose Selbstzahler-Terminals oder intelligente Sprachverarbeitungsprogramme, ersetzt werden. Auch Berufe wie Kaufleute, Buchhalter, Steuerberater, Rechtsanwälte oder Finanzanalysten sind bedroht, wenn intelligente Algorithmen die gleichen Leistungen billiger und effizienter erbringen.
Welche Elektro-Tätigkeiten sind automatisierbar?
Inwiefern auch für Elektrofachkräfte und Elektroberufe ähnliche Gefahren bestehen, lässt sich kaum im Detail vorhersagen. Viele Tätigkeiten im Elektrohandwerk lassen sich nicht per Homeoffice erledigen oder durch eine KI übernehmen. Dazu kommt, dass die für 4.0-Anwendungen verwendeten Geräte und Systeme in aller Regel elektrischen Strom benötigen und als elektrische Betriebsmittel gelten. Das hat zur Folge, dass sie regelmäßig von einer Elektrofachkraft oder unter Aufsicht einer Elektrofachkraft geprüft werden sollten. Dies gilt im Übrigen auch für die mobilen Endgeräte, die Beschäftigte gemäß dem BYOD-Modell (Bring your own device) von zu Hause mit an den Arbeitsplatz bringen. Insofern dürften kurzfristig die Aufgaben einer Elektrofachkraft eher steigen. Andererseits werden schon heute monotone Aufgaben, z.B. bei Prüfaufgaben in der Produktion und Qualitätssicherung, vielfach von automatisierten Prozessen übernommen.
Die Stärke und Kompetenz einer Elektrofachkraft liegt gerade darin, bei einer Vielfalt an elektrischen Arbeitsmitteln, Maschinen, Anlagen usw. mit ganz unterschiedlichen elektrotechnischen Aufgaben individuell und kompetent zu beraten und zu agieren. Diese Breite an Einzelaufgaben vom Installieren, Einrichten und Inbetriebnehmen über das Prüfen, Warten, Messen, Reparieren, Testen, Überwachen usw. bis zu einem sicheren Außerbetriebnehmen wird in absehbarer Zeit kaum von einem Cobot oder einer anderen smarten Maschine übernommen werden können.
Wo jedoch körperlich belastende oder monotone, ermüdende Aufgaben durch smarte Helfer erleichtert oder gefährliche Tätigkeiten und Arbeitsumgebungen intelligent überwacht werden können, sind auch Angehörige von Elektroberufen gut beraten, die neuen Technologien aktiv und ohne Berührungsängste zu nutzen. So kann etwa der Einsatz von Datenbrillen Montage- oder Prüfaufgaben deutlich erleichtern, weil beide Hände für die eigentlichen Tätigkeiten frei sind und notwendige Montageanleitungen oder Schaltpläne stets im Blick sind oder durch Blinzeln zugeschaltet werden können.
Neue Ansprüche an Elektro-Ausbildungen und Qualifizierungen
Auch im Elektrohandwerk müssen Ausbildungsordnungen an die neuen Anforderungen angepasst werden. Dieser Prozess hat bereits begonnen. Darüber hinaus werden bestimmte Aufgaben und Tätigkeiten nicht ohne neue Zusatzqualifikationen zu leisten sein. So haben z.B. die Unfallversicherer die Voraussetzungen für das Arbeiten an Hochvoltfahrzeugen mit der DGUV Information 209-093 im Jahr 2021 neu geregelt.
Mit Elektroniker/Elektronikerin für Gebäudesystemintegration oder Elektroniker/Elektronikerin Automatisierungs- und Systemtechnik wurden neue Ausbildungsgänge geschaffen, um den Anforderungen des 4.0-Zeitalters in Elektroberufen gerecht zu werden. Dazu kommen viele weitere Anpassungen an Aus- und Weiterbildungen für Elektroberufe, z.B. die Zusatzqualifikation „Additive Fertigungsverfahren“ oder die Zusatzqualifikation „Digitale Vernetzung“.
Zahlen, Daten, Fakten zu Industrie 4.0
Laut Angaben des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz
- sehen 19 von 20 Unternehmen Industrie 4.0 als Chance,
- nutzen 60 Prozent aller Betriebe bereits Industrie-4.0-Anwendungen,
- halten mehr als 90 Prozent aller Unternehmen Industrie 4.0 für die Voraussetzung zum Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie.
Wie der Branchenverband Bitkom mitteilte, hat die Coronapandemie die Digitalisierung in deutschen Fabriken vorangetrieben. Sechs von zehn befragten Industrieunternehmen sehen einen Innovationsschub für den eigenen Betrieb.
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