Industrie 4.0 und der Einfluss auf die (Elektro-)Berufe

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Industrie 4.0 hat Auswirkungen auf Beschäftigung und Arbeitsmarkt.
Industrie 4.0 hat Auswirkungen auf Beschäftigung und Arbeitsmarkt. (Bildquelle: metamorworks/iStock/Getty Images Plus)

Wie verändern sich die Berufe?

Die Entwicklungen, die mit Industrie 4.0 einhergehen, bleiben nicht ohne Einfluss auf Beschäftigung und Arbeitsmarkt. Welcher Art diese Einflüsse jedoch sind, darüber gehen die Meinungen weit auseinander.

Eine Gruppe von Experten und vor allem Politikern neigt zur optimistischen Interpretation und glaubt, dass Industrie 4.0 sich positiv auf die Beschäftigung auswirkt. Sie nimmt an, dass die durch die technologischen Entwicklungen freigesetzten Mitarbeiter recht schnell neue Stellen finden werden. Langfristig gesehen, ist dieses Szenario durchaus nicht unrealistisch. „Technische Innovationen haben von jeher eine ungewisse Anzahl von Arbeitsplätzen vernichtet, diese jedoch durch neue Stellen in einem anderen Wirtschaftszweig und möglicherweise an einem anderen Ort ersetzt“, schreibt Schwab (2016) und führt als Beispiel die Entwicklung der Landwirtschaft in den USA an. Während Anfang des 19. Jahrhunderts der Beschäftigungsanteil in dieser Branche bei 90 % lag, beträgt er aktuell noch 2 %. Eine nennenswerte Dauerarbeitslosigkeit habe es dabei nicht gegeben.

Die Pessimisten befürchten jedoch einen erheblichen Arbeitsplatzabbau, ohne dass dieser durch einen spürbaren Beschäftigungszuwachs in anderen Branchen kompensiert wird. „Laut einer Schätzung des Oxford Martin Programme on Technology and Employment sind nur 0,5 % aller US-amerikanischen Erwerbspersonen in Branchen tätig, die es zur Jahrhundertwende noch nicht gab. Das sind sehr viel weniger als die 8 % der neuen Stellen, die in den 1980er-Jahren in neuen Branchen geschaffen wurden, und die 4,5 % der neuen Stellen, die in den 1990er-Jahren in neuen Sektoren entstanden“ (ebenda).

Wie hoch ist das Risiko durch Automation und Industrie 4.0 ersetzt zu werden?

Verlässt man die pauschale Ebene der Beschäftigung und schaut sich den Einfluss von Automation und Industrie 4.0 auf die Berufe an, dann stößt man unweigerlich auf die Studie von Carl Benedict Frey und Michael Osborne von der Oxford Martin School. Sie bewerteten für die 702 Berufe der US-amerikanischen Standard Occupational Classification (SOC) das Risiko, durch Automatisierung ersetzt zu werden. Als Kriterien verwendeten sie dazu die Anforderungen der jeweiligen Tätigkeiten hinsichtlich

  • Wahrnehmung und Handhabung,
  • Kreativität und
  • sozialer Interaktion.

Diese Kriterien wurden von ihnen mathematisch verknüpft und weisen einen entsprechenden Wahrscheinlichkeitswert auf. Je höher dieser liegt, umso höher ist das Risiko, dass die entsprechende Tätigkeit durch Automatisierung substituiert wird.

Tab. 1: Wahrscheinliches Risiko des Ersetzens des Berufs durch Automatisierung

Rang Beruf Wahrschenilches Risiko des Ersetzens des Berufs durch Automatisierung
1 Telefonverkäufer 0,99
2 Steuerberater 0,99
3 Näher 0,99
4 mathematische Fachkräfte 0,99
... ... ...
698 Hörakustiker 0,0033
699 Sozialarbeiter 0,0031
700 Leiter Notfallmanagement 0,003
701 Teamleiter für Mechanik, Installation und Reparatur 0,003
702 Therapeut 0,0028

Sicher fragen Sie sich nunr, wo die typischen Berufe für Elektrofachkräfte (EFKs) liegen. Die Antwort darauf soll nicht verschwiegen werden.

Rang Beruf Wahrscheinliches Risiko des Ersetzens des Berufs durch Automatisierung
55 Elektromonteure 0,97
149 Elektroinstallateure für die Reparatur von Transportgeräten 0,91
204 Maschineninstandhalter 0,86
229 Techniker Elektrotechnik/Elektronik 0,84
253 Installateure für Sicherheits- und Feueralarmsysteme 0,82
260 Technische Zeichner Elektrotechnik/Elektronik 0,81
295 Elektrohelfer 0,74
435 Fahrstuhlinstallateure 0,39
442 Elektroinstandhalter für Energieerzeugung und -verteilung 0,38

Natürlich stellt diese Auflistung nur eine Perspektive dar. Zum einen bezieht sie sich auf das berufliche System der USA und ist damit nur bedingt auf das deutsche System übertragbar. Eine entsprechende deutsche Studie in gleicher Qualität ist leider nicht verfügbar. Zum anderen ist nicht immer klar ersichtlich, welche der US-amerikanischen Berufe eine Entsprechung im Sinne der deutschen Elektrofachkraft haben.

Doch zurück zu der Entwicklung in den Berufen. Schwab prognostiziert aus seinen Erkenntnissen zur Entwicklung der Gesellschaft innerhalb der vierten industriellen Revolution eine Polarisierung im Arbeitsmarkt: „Mehr Beschäftigte wird es in den geistig anspruchsvollen und kreativen Berufen mit hohem Einkommen sowie bei schlecht bezahlten manuellen Tätigkeiten geben, während deutlich weniger Beschäftigte Routine- und repetitive Tätigkeiten im mittleren Einkommensbereich verrichten werden.“

Das deckt sich im Wesentlichen mit den Erkenntnissen der MIT-Wissenschaftler Daron Acemoglu und David Autor, die Arbeitstätigkeiten in einer Matrix ordnen. Eine der Achsen teilt sich in manuelle vs. kognitive Arbeit, die andere in Routinearbeit vs. Nichtroutinetätigkeiten. Sie stellten fest, dass vor allem die Routineaufgaben rückläufig sind, egal ob manueller oder kognitiver Natur (vgl. Acemoglu/Autor, 2010).

Beharrungsvermögen von Arbeitstätigkeiten gegen Automation
Beharrungsvermögen von Arbeitstätigkeiten gegen Automation (Acemoglu/Autor, 2010)

Wie verändern sich die berufliche Anforderungen?

Interessanter noch als die globale Sicht auf die Beschäftigung ist die damit einhergehende Veränderung in den beruflichen Anforderungen. Es scheint so, als hätten vor allem jene Berufe ein geringes Automatisierungsrisiko, bei denen vorrangig soziale und kreative Kompetenzen gefordert sind. Auch die Fähigkeit, in schwierigen Situationen Entscheidungen zu treffen, erlangt eine hohe Bedeutung. Eine Umfrage des Weltwirtschaftsforums (WEF, 2016) unter Personalvorständen der größten Arbeitgeber in 10 Wirtschaftszweigen und 15 Branchen belegt, dass in naher Zukunft vor allem ein sehr hoher Bedarf an komplexer Problemlösungskompetenz, sozialer Kompetenz und Systemkompetenz bestehen wird. Daraus entwickeln die Autoren eine Übersicht aus 35 Kompetenzen, welche die erwarteten Veränderungen in den Berufen in geeigneter Form unterstützen. Dazu gehören u.a.:

  • Fähigkeiten: kognitive Flexibilität, Kreativität, logisches Denken, Problemsensibilität
  • Basiskompetenzen: Lernfähigkeit, mündlicher und schriftlicher Ausdruck, Lesefähigkeit, kritisches Denken
  • übergreifende Kompetenzen: emotionale Intelligenz, Verhandlungsfähigkeit, Serviceorientierung, Entscheidungsfähigkeit, komplexe Problemlösungsfähigkeit, Ressourcenmanagement, Programmierung, Qualitätsbewusstsein, Fehleranalyse und -behebung

Unstrittig dabei ist, dass die klassische berufliche Qualifizierung durch die Entwicklung von Handlungskompetenz wenn auch nicht abgelöst, so doch zumindest in erheblichem Maße erweitert wird. Ursächlich dafür sind die Dilemmata der Technikqualifizierung.

  • Zum Ersten ist das große Ziel der Industrie 4.0 im Detail recht unscharf und das führt zu erheblichen Schwierigkeiten bei der Definition der zu vermittelnden Inhalte.
  • Zum Zweiten ist es weitestgehend unklar, wie lange solche einmal definierten Inhalte Relevanz besitzen. Immerhin hat die Technikentwicklung eine Dynamik angenommen, die den Bestand der Produkte auf wenige Jahre, ja manchmal gar Monate beschränkt. Man mag sich da an die DVD, die E-Mail oder Server-Lösungen erinnern. Alles noch gar nicht so alt, aber technisch inzwischen längst überholt.
  • Und schließlich tauchen auch ganz neue Berufe auf – der Influencer beispielsweise, der Data Analyst oder der Campaigner.

So lässt sich die aktuelle Situation in einem Satz zusammenfassen: Wir wissen nicht so recht, wohin beruflich Lernende mit welchen Inhalten zu qualifizieren sind, müssen aber zugleich eingestehen, dass die Prozesse zur Definition benötigter Qualifikationen viel zu lang sind, um mit den aktuellen Entwicklungen auch nur annähernd Schritt zu halten – eben das Dilemma der Technikqualifizierung.

Handlungskompetenz, definiert als „Fähigkeit, sich in offenen und unüberschaubaren, komplexen und dynamischen Situationen selbstorganisiert zurechtzufinden“ (Erpenbeck/v. Rosenstil, 2017) schafft dagegen aufgrund ihrer Zukunftsorientierung die Möglichkeit, künftige Herausforderungen selbstständig bewältigen zu können. Erik Brynjolfsson und Andrew McAfee schreiben dazu: „Die Gewinnung von Ideen, das Erkennen von Mustern in einem weit gesteckten Rahmen und die komplexesten Formen der Kommunikation sind also kognitive Bereiche, in denen der Mensch scheinbar immer noch im Vorteil gegenüber der Automatisierung ist […]“ (Brynjolfsson/McAfee, 2014).

Nicht Berufe, sondern Tätigkeiten verändern sich

Wer nun allerdings daraus einen abrupten Wandel in den Berufen erwartet, der muss enttäuscht werden. Vielleicht muss er auch beruhigt werden, je nach Position. Denn die Veränderung geht schleichend und dennoch rasant vonstatten. „Schleichend“ deswegen, da ältere Berufe nicht von einem auf den anderen Tag durch neue Berufe ersetzt werden. „Rasant“, da mit dem Einzug neuer Technologien sehr schnell neue Arbeitsanforderungen an die Mitarbeiter gestellt werden.

Fazit

Auch wenn manche anderes prophezeien mögen, Berufe werden durch den Wandel zur Industrie 4.0 nur in seltenen Fällen verschwinden. Viel häufiger verändern sich jedoch die den Berufen zugeordneten Tätigkeiten. Das verlangt neue Kompetenzen und führt bei den bestehenden zu einer neuen Gewichtung – sowohl im fachlichen als auch im methodischen und sozialen Bereich. Darauf haben wir uns einzustellen. Das lebenslange Lernen mag wie eine Phrase klingen. Dennoch sind wir damit konfrontiert.

Literatur

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Kommentare

Kommentar von steffen |

Ich bin gespannt, wie sich die (berufliche) Welt durch Industrie 4.0, Smartxxx usw. verändern wird. Man sollte dringend darauf achten, dass die Menschen nicht durch die Technik überfordert werden und alles aus dem Ruder läuft und vieles nicht mehr beherrschbar bleibt. Reine Technikgläubigkeit ist nicht gut

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